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Geschichte

Rosa Neuen­­schwander
Vordenkerin und Pionierin

Gegründet wurde agilas–bilden bewegt von einer der weitsichtigsten und initiativsten Frauen, die Bern je hatte: Die Pionierin Rosa Neuenschwander schuf Ausbildungsprogramme für Berufslehren, gründete zahlreiche Berufsverbände, war die erste Berner Berufsberaterin und ist die Initiantin des Pestalozziheims Bolligen, der heutigen agilas–bilden bewegt.

Das Thema Hauswirtschaft beschäftigte die 1883 in Brienz geborene Rosa Neuenschwander von ganz jung auf: «Ich habe meine Mutter nie ganz gesund gekannt», schrieb sie in ihren Lebenserinnerungen, «und mir als der Ältesten fiel die Hauptarbeit im Haushalt zu, so weit dies neben der Schule möglich war.»

Aufgewachsen ist Rosa Neuenschwander in Oberhofen am Thunersee. Sie war ein grossgewachsenes Mädchen und wurde bereits nach dem 8. Schuljahr ins Welschland geschickt. Anschliessend absolvierte sie die Handelsschule in Biel. Beide Aufenthalte waren geprägt von Hausarbeit. Rosa Neuenschwander bezeichnete ihre nicht einfache Jugendzeit mit dem «Doppelleben in Schule und Haushalt» später als «wegbereitend für mein ganzes Leben»: Die junge Frau lernte früh, ihre Zeit einzuteilen, planmässig zu arbeiten und selbständig zu denken und zu handeln.

Rosa Neuenschwander wäre gerne Lehrerin geworden. Doch ihr Vater riet ihr davon ab. Er meinte, sie würde wegen ihrer Grösse «auf die Kleinen erdrückend wirken». Statt Lehrerin wurde Rosa Neuenschwander Buchhändlerin und führte in der Stadt Bern eine eigene Buchhandlung mit bis zu elf Angestellten, bevor sie 1921 die erste Berufsberaterin für Mädchen in Bern wurde.

Sie erkannte früh die Macht der Berufsverbände und bat um Aufnahme im Kaufmännischen Verein. Doch wie die meisten männlich geprägten Berufsorganisationen, wollte auch dieser keine Frauen aufnehmen, und so gründete Rosa Neuenschwander kurzerhand die «Vereinigung für weibliche Geschäftsangestellte». Diesem Zusammenschluss folgten später zahlreiche weitere Gründungen von Berufsverbänden und Sekretariaten für Frauen.

«Lieber schlecht verheiratet als gut ledig», sagte man damals, und der Haushalt sei eine «der Frau angeborene Mission». Die Berufsbildung für Frauen war Rosa Neuenschwander jedoch ein besonderes Anliegen, und so begann ihr «Kampf um das Haushaltlehrwesen». Zuerst aber musste sie darlegen, welche «Fertigkeiten eine gute Hausfrau und Hausangestellte ausmachen: Köchin, Näherin, Wäscherin/Glätterin, Gärtnerin, Zimmermädchen, Säuglings- und Kinderpflegerin, Erzieherin und Buchhalterin». Mit Lehrvertrag, Lehrplan, Arbeitsplan und Prüfung erarbeitete sie die Grundlagen für eine Berufslehre: zuerst für den nichtbäuerlichen, später auch für den bäuerlichen Haushalt. Und den Verkäuferinnen, die damals «Ladebüssi» genannt wurden, verhalf sie zu einem anerkannten Beruf, indem sie die Basis für die Berufsschule und damit für die Lehre schuf.

Fräulein Rösli Neuenschwander, wie sie genannt wurde, interessierte «alles werktätige Leben mehr als irgendein Vergnügen», und ihr war lieber, dass man «über mein Werk als über meine Person» sprach. Sie war ein organisatorisches Talent und eine hartnäckige Schafferin, arbeitete oftmals bis tief in die Nacht hinein und an Wochenenden – und leistete Pionierarbeit für die Schweizerische Frauenbewegung. Ihr Lebenswerk ist denn auch ausserordentlich, zumal damals Gleichberechtigung und Frauenstimmrecht in weiter Ferne lagen. Rosa Neuenschwander gründete Berufsverbände und Frauensekretariate, engagierte sich in der Berufsbildung, hielt zahlreiche Vorträge, hielt als erste Frau in Bern die offizielle 1.-August-Ansprache und organisierte Ausstellungen. Bekannt wurde sie mit der Frauengewerbeausstellung 1923 in Bern und landesweit mit ihrem Engagement 1928 für die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit Bern SAFFA. Wäre sie ein Mann, sagte einst ein Radiomoderator nach einem Gespräch mit ihr, wäre sie schon längst Bundesrat.

Ein für agilas–bilden bewegt richtungsweisendes Engagement war Rosa Neuenschwanders Präsidium des Bernischen Frauenbundes, der heutigen Frauenzentrale Bern. Unter ihrer Leitung wurde eines ihrer «Lieblingskinder» realisiert: das Pestalozziheim in Bolligen. Als «Nacherziehungsheim» und «Vorlehrschule» legte das Heim für «berufsunreife Mädchen» den Schwerpunkt auf die auswirtschaftlichen Kenntnisse und Fähigkeiten – Kompetenzen, die Rosa Neuenschwander schon immer vertraut waren. «Endlich war mein Wunsch erfüllt: Die Mädchen meiner Sprechstunde, denen ich keine Lehrstelle vermitteln konnte, weil sie einfach für das Berufsleben noch nicht reif waren, würden an einem guten Ort untergebracht werden können.» Die Wegbereiterin blieb denn auch bis kurz vor ihrem Tod im Jahr 1962 Präsidentin der Heimkommission.

Text Manuschak Karnusian

Quellen:

  • Rosa Neuenschwander: Lebenserinnerungen; Verlag Paul Haupt Bern 1962
  • Rosa Neuenschwander, Berufsberaterin: Die Entwicklung der Haushaltlehre im Rahmen des beruflichen Bildungswesens in der Stadt Bern; Aus dem Viertel-Jahresbericht III/1948 des Statistischen Amtes der Stadt Bern
  • 25 Jahre Bernischer Frauenbund, 1920-1945 Beatrix Mesmer: Brückenbauerin zwischen Stadt und Land – Rosa Neuenschwander, in Kartoffeln, Klee und kluge Köpfe – die Ökonomische und Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Bern OGG; Haupt Verlag 2009
  • Rosa Neuenschwander: Wollen und Vollbringen; Schweizerischer Frauenkalender/Jahrbuch der Schweizerfrauen 1951