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Geschichte

Rosa Neuen­schwander –
eine Pionierin der Berufsbildung

Von den 1920er bis Ende der 1950er Jahre war Rosa Neuenschwander eine der einflussreichsten Frauen in Bern. Ihr grosses Anliegen war, möglichst allen jungen Frauen zu einer Berufsbildung zu verhelfen. Um dieses Ziel zu erreichen, scheute sie keinen Aufwand. Neben ihrer Berufstätigkeit engagierte sie sich schon früh in Vereinen und Kommissionen, förderte die Ausbildung und Organisation der Berufsfrauen, hielt unzählige Referate und setzte bei all ihren Aktivitäten ihr ausgedehntes Netzwerk ein.

Rosa Neuenschwander wurde 1883 als älteste von drei Schwestern in Brienz geboren und wuchs in einer mittelständischen Familie in Oberhofen auf. Da ihre Mutter oft krank war, musste sie neben der Schule schon früh Verantwortung für den Haushalt übernehmen. Entgegen dem verbreiteten Muster, Töchter bis zur Heirat als Arbeitskräfte im elterlichen Haushalt einzusetzen, legten ihre Eltern grossen Wert darauf, sie einen Beruf erlernen zulassen. Nach einem Welschlandjahr besuchte sie für ein Jahr die Handelsschule in Biel. Dort war sie bei einer befreundeten Familie untergebracht, wo sie neben der Schule für Kost und Logis wiederum im Haushalt mithelfen musste. Im Rückblick auf ihre Kindheit und Jugend schrieb sie, sie habe so früh gelernt, ihre Zeit einzuteilen.

Anschliessend entschied sich Rosa Neuenschwander für die Ausbildung als Buchhändlerin. Die Lehre absolvierte sie in Bern; danach arbeitete sie bis zu Beginn der 1920er Jahre in Thun, Brugg und Bern im Buchhandel. Schon bald interessierte sie sich für Fragen der weiblichen Berufsbildung. In einem ersten Versuch, aktiv zu werden, bewarb sie sich für die Mitgliedschaft im Kaufmännischen Verein in Brugg. Weil sie eine Frau war, erhielt sie abschlägigen Bescheid. Der gleiche Vorgang wiederholte sich ein paar Jahre später in Bern. Darauf gründete sie 1913 zusammen mit anderen Frauen die Vereinigung für weibliche Geschäftsangestellte und übernahm auch gleich ihr erstes Präsidentinnenamt. Der Schweizerische Kaufmännische Verband liess erst ab 1918 weibliche Mitglieder zu. Die Vereinigung für weibliche Geschäftsangestellte war sehr aktiv. Sie führte eine Stellenvermittlung, organisierte für ihre Mitglieder Vorträge und gab eine Zeitschrift heraus.

Das zentrale Anliegen von Rosa Neuenschwander aber war, den Beruf der Verkäuferin auf eine solide Basis zu stellen. 1921 wurden die entsprechende rechtliche Grundlage vom Kanton in Kraft gesetzt und die Berufsschule für Verkäuferinnen eröffnet. In diesem Zusammenhang unterstützte sie die Arbeitgeberinnen tatkräftig bei der Gründung des bernischen Frauengewerbevereins.

Bereits 1917 begann Rosa Neuenschwander, die mittlerweile eine Buchhandlung mit elf Angestellten führte, sich als Berufsberaterin zu engagieren. Das war damals ein neues Berufsfeld, denn die Berufsbildung für Mädchen stand noch am Anfang. Rosa Neuenschwander war von der Notwendigkeit der weiblichen Berufsberatung so überzeugt, dass sie den Buchhandel aufgab. 1921 wurde sie in der Stadt Bern als erste Berufsberaterin für Mädchen eingestellt. In dieser Position konnte sie neben den Beratungen die Entwicklung verschiedener Berufsprofile und Lehren vorantreiben.

Der Ausbau der Berufsbildung für Mädchen war eingebettet in ihre Vision, die Erwerbsarbeit von Frauen zu fördern und sie sichtbar zu machen. 1923 organisierte sie in Bern eine kleine Frauengewerbeausstellung, die zum Vorbild weiterer vergleichbarer Projekte in anderen Städten wurde. Gesamtschweizerische Ausstrahlung erhielt dann die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit SAFFA im Jahr 1928, zu deren Gelingen Rosa Neuenschwander wesentlich beitrug.

Rosa Neuenschwander baute ihren Wirkungskreis und ihr Netzwerk ständig weiter aus. 1920 war sie in den Vorstand des kurz vorher gegründeten Bernischen Frauenbundes gewählt worden. Fünf Jahre später übernahm sie das Präsidium. Unter ihrer Leitung wurde der städtische Zusammenschluss von Frauenorganisationen zu einer kantonalen Dachorganisation ausgebaut. Diese richtete auch ein ständiges Sekretariat ein, das die Realisierung von langfristigen Projekten und sozialen Aufgaben ermöglichte. Dazu gehörte insbesondere die Gründung des Pestalozziheims im Jahre 1939. Auf Initiative von Rosa Neuenschwander schuf der Frauenbund damit ein Internat für hauswirtschaftliche Ausbildung, das sich an junge
Frauen wandte, die für eine Berufslehre oder den Arbeitsmarkt (noch) nicht reif waren. Dieses Brückenangebot sollte helfen, sie für eine Berufslehre oder eine Stelle in einem privaten oder einem Grosshaushalt Vorzubereiten. Rosa Neuenschwander übernahm den Vorsitz in der Heimkommission und behielt dieses Amt bis kurz vor ihrem Tod im Jahr 1962.

Der Bernische Frauenbund – ab 1975 unter dem Namen Frauenzentrale Bern – führte das Pestalozziheim bis 1997. Danach wurde der Betrieb in die Stiftung Rosa Neuenschwander überführt.

Text Elisabeth Ryter